Kaum zu glauben, ein schon lang ersehnter Traum sollte sich heute erfüllen. Wie oft hatten wir schon darüber sinniert, wie geil es wäre, unsere Band Keimzeit einmal unter Tage erleben zu können. Nun war es soweit. Keimzeit flog diesmal nicht direkt mit dem Esel ins All, sondern ließ sich ca. 700m unter die Erde verfrachten, um ihn aus dem tiefsten Konzertsaal der Welt, direkt durch den Berg ins nächtliche All zu schießen.
Wir waren gespannt. Auf das Erlebnisbergwerk Sondershausen, auf die Bewältigung der logistischen Herausforderung, ein ganzes Konzert so tief unter die Erde zu schaffen und nicht zuletzt darauf, was uns dort visuell und vor Allem akustisch erwarten würde.
Um all dies aus nächster Nähe und erster Hand mit erleben zu können, waren wir schon gegen Mittag vor Ort. Das Equipment war gerade auf Europaletten geladen, schön quadratisch, praktisch, gut. Um in den Fahrstuhl, in Bergmannskreisen „Förderkorb“ genannt, zu passen, durfte kein Gepäckstück wesentlich über die Palette hinausragen und auch in der Höhe gabs Beschränkungen. Geplant waren ca. 15 Paletten, welche innerhalb einer Stunde am Zielort unter Tage angekommen sein müssen. Danach ging nichts mehr, denn dann war Schichtwechsel und der Förderkorb wurde zum Aus- und Einfahren der Bergleute gebraucht. Wir lernten: Material und Personen dürfen aus Sicherheitsgründen niemals gleichzeitig befördert werden. … Nun, das kann lange dauern!…
Um für uns die Wartezeit nicht zu lang werden zu lassen ( und sicher auch, damit wir nicht ständig im Wege rum standen :-D ), führte man uns in einen Gästeraum. Dort gabs neben Kaffee viele Informationen und informative Videos.
Wir erfuhren, daß dieses Bergwerk, entgegen vieler anderer Besucheranlagen, bis heute noch fördert und dies auch auf längere Zeit weiterhin tun wird. Hier wird das Streusalz für ganz Deutschland zu Tage gebracht und so lange es noch Winter mit Glätte und Schnee gäbe, seien die Arbeitsplätze hier relativ sicher. Die Salzvorkommen in dieser Region scheinen noch unermesslich, so der nette Kollege und Kumpel, welcher sich unseren Fragen stellte.
Schon kurze Zeit später wurden wir abgeholt. Jeder bekam einen Helm und ab gings Richtung Förderkorb. Da die letzte Materialfahrt noch ein wenig dauerte, durften wir uns die Schaltzentrale noch anschauen, von der aus die Fahrten beobachtet und gesteuert werden.
Kurz darauf kam das OK und wir durften den Förderkorb besteigen. Für uns, die wir des Öfteren schon unter Tage unterwegs waren, kein großes Ding, für andere aber ein aufregendes Erlebnis. Die Einfahrt dauerte ca. 4 min. und ging auf ein Niveau von knapp 700m.. in die zweite Ausbausohle, wie wir erfuhren.
Beim Eintritt in die ersten Stollen sahen wir noch einige Maschinen und Fahrzeuge. Hier sah es noch nach richtig schwerer Arbeit aus. Interessanter Weise werden auch alle neu erworbenen Maschinen und Fahrzeuge nur über die zwei Förderkörbe in die untertägige Anlage gebracht. Nun fragt man sich: wie kommt ein LKW oder eine riesige Fräsmaschine durch den Flaschenhals? Die Erklärung ist denkbar einfach: auseinander bauen, große Teile in handliche Stücke zerschneiden und unten das Ganze wieder zusammen bauen. …Ach ja, …das Leben kann manchmal so einfach sein.
Große Augen bekamen wir allerdings, als wir den „Amüsierbereich“ des Bergwerkes betraten. Angefangen vom Festsaal, in dem sowohl Betriebsfeiern, als auch Hochzeiten und andere Feierlichkeiten abgehalten werden, bis hin zur unterirdischen Kegelbahn (übrigens ebenfalls die tiefste der Welt), war für alles gesorgt. Und großräumig aufgefahren waren die Hallen.
Der Konzertsaal wurde lt. Aussage unseres bergmännischen Begleiters, annähernd zur Jahrtausendwende eigens zu diesem Zweck aufgefahren.Dies ging gänzlich ohne Sprengungen vor sich, um mögliche Risse und somit die Gefahr von etwaigem Verbruch der Deckenfirste von vorn herein zu vermeiden. 2001 fand dann das erste Konzert in der Halle statt. Wände und Decken sind selbsttragend, da sie hauptsächlich aus Ursalzen bestehen, welche so stark von der Natur komprimiert wurden, daß sie sicheren Halt für die Firste bieten. Die Wände, säuberlich ausgefräst, zaubern schöne Muster ins Salzgestein. Ich kann nicht widerstehen und probiere mit Finger und Zunge. Ja, es ist salzig! Sehr salzig sogar. In laufe des Abends fällt uns immer wieder auf, daß die Lippen einen Hauch von Salzgeschmack annehmen. Fast wie am Meer…, nur halt tiefer.
Es soll hier auch einen Salzsee geben. 40%ige Sole! Das Tote Meer hat nur durchschnittlich 30%, berichtet unser Begleiter. Ich glaube, man könnte gut an der Oberfläche treiben, so mein Gedanke, aber hier fahren nur Spreewaldkähne. Immerhin!
Wir betreten den Saal. Die Techniker sind bei der Arbeit. Noch ist aber die letzte Palette nicht eingetroffen. Es fehlen noch entscheidende Teile.
Wir sehen uns um. Der Zuschauerraum links von uns, bietet mit seinem Aufbau perfekte Sicht von allen Sitzen. In die Saaldecke sind in regelmäßigen Abständen „Wellenbrecher“ gefräst, sicher um den Hall zu mildern und somit die Akustik zu verbessern. Sieht gut aus. Die Bühne entwickelt sich auch langsam wie gewohnt.
Wir suchen uns unseren Platz im hinteren Bereich, der guten Kameraausblick verheisst. Gleich neben Licht- und Tontechnik scheint der ideale Platz zu sein. Schnell ist alles eingerichtet, Stative gestellt und wir machen einen weiteren Erkundungsgang. Der Soundcheck läuft und die Techniker beginnen zu tüfteln. Sicher keine leichte Aufgabe für Ton und Licht. Wann spielt man schon mal in so ungewohnter Kulisse?! Wir lassen die Jungs in Ruhe ihre Arbeiten tun und schauen uns weiterhin um.
Im hinteren Ende des Zuschauerraumes führt ein Gang zum Gästeeingang. Vor dem Eintritt in den Saal können sich die Gäste noch etwas stärken und das eine oder andere Getränk einnehmen.
Natürlich gibt es hier auch sanitäre Anlagen, wie gewohnt. Niemand muss auf den „Kübel“ in der Bergnische, wie aus Altbergbautagen bekannt. Als ich in den Sanitärbereich eintrete, muss ich dann aber doch schmunzeln. Jede Toilette besitzt ein Fenster. Ja, ein Fenster?!!! 700m unter der Erde und die Klo´s haben Fenster?!!! Zugegeben, die Aussicht ist nicht gerade berauschend, aber unangenehme Gerüche haben eine Chance zu entfliehen.
Soweit mein kleiner Exkurs in die Stätten der menschlichen Bedürftigkeiten.
Die ersten Gäste kommen durch den Hauptstollen gelaufen. Natürlich alle mit Helm :-). Auch das Einchecken des Publikums, das Konzert ist mit ca.330 Gästen restlos ausverkauft, wird sich etwas hinziehen hier. Jeder Förderkorb fasst maximal ca. 20 Personen und es gibt nur wechselseitig 2. Da eine Fahrt ungefähr 4min. dauert, kommt das Publikum in überschaubaren Portionen an.
Langsam, aber stetig füllen sich die Gänge und die kleine Bar wird auch immer mehr okkupiert. Wer sich bis dato noch über den, doch recht frühen Konzertbeginn gewundert hatte, wird hier sicher die logische Antwort finden.
Im Übrigen braucht hier niemand zu frieren. Mit einer Durchschnittstemperatur von kuscheligen 24°C, ist es angenehm warm. Und das so ganz ohne Heizung! Quasi natürliche Fußbodenheizung durch die Kraft des Erdkernes.
Dann geht es aber doch endlich los. Das Tor wird geöffnet und die Besucher suchen ihre Plätze auf. Ja, Sitzplätze mit Sitzplatzbindung. So bleibt alles hübsch geordnet und Jeder weiß, wo er hin gehört.
Das Licht erlischt und die Bühne erstrahlt in munterem Farbenspiel.
Eine kurze Ansprache des Geschäftsführers und der Spaß kann beginnen.
Über der Bühne prangt majestätisch das Konterfei unserer guten alten Mutter Erde, nebst Esel, welcher munter aus ihr heraus zu springen scheint.So weit in ihrem Inneren wirkt das auf mich etwas eigenartig. Fast scheint es, als wäre hier ein Embryo in ihr. Ein Baby, welches mit Hilfe des Esels ans Licht gezogen werden mag. Eine visuelle Metapher? Nun, mache sich Jeder seinen eigenen Reim darauf…
Band und Publikum anfangs noch etwas verhalten, auf der einen Seite hinsichtlich der ungewöhnlichen Konzertbedingungen, auf der anderen Seite sicherlich noch etwas beeindruckt von der außergewöhnlichen Kulisse und der kurz zuvor erlebten Einfahrt ins Bergwerk, war das Eis ( oder besser hier das Salz) schnell gebrochen und Begeisterung machte sich breit.
Nach ca. der Hälfte des Programms gabs eine 20 minütige Pause, zum Beine Vertreten, kommunikativem Austausch mit Freunden und anderen Gästen zu führen, um das Zimmerchen mit Fenster kurzfristig aufzusuchen, etc pp. Diese Pause hätte sicherlich auch gereicht, um Getränkenachschub zu holen. Eigentlich tat es nicht not, seine Banknachbarn und Leute auf den nachfolgenden Plätzen während des laufenden Konzertes zu belästigen, da es einem just in diesem Moment nach etwas Flüssigem zumute war. Sicherlich, Salz macht durstig…, aber es hatte doch niemand davon gesprochen, daß man es vernaschen sollte… Warum gibt es eigentlich immer wieder Menschen, die es regelmäßig versäumen, auf ihre Mitmenschen Rücksicht zu nehmen? Na wenigstens hielten sich die, während des Konzerts geführten Privatgespräche über Kindererziehung oder Urlaubserlebnisse etc. in Grenzen, soweit ich das von meinem Platz aus beurteilen konnte. Allerdings einen Clown gibt es wohl immer, der einem, alkoholbeseelt, ein Smalltalk-Gespräch aufdrängen will, während man gerade mit dem Aufzeichnen eines Tapes beschäftigt ist, welches allen Fans zur Freude und der Band zur Nachbetrachtung des Abends dienen sollte. Nun, so jemand sollte sich im Nachgang dann auch nicht über seinen, etwas albernen Internetauftritt wundern, den er selbst provozierte.
Ja, es wird einen kleinen visuell-akustischen Rückblick auf dieses außergewöhnliche Konzert geben. Wann, ist jetzt noch nicht genau zu sagen. Ich hoffe, recht bald. Ich bemühe mich.
Nun aber zum Konzert selbst zurück.
Im Laufe des Abends stieg die Stimmung immer mehr an. Viele hielt es irgendwann nicht mehr auf ihren Plätzen und auf den Treppenstufen wurde getanzt. Am Ende des Abends gab es „Standing Ovations“. Für Keimzeitkonzerte nicht immer gewöhnlich, aber gut, wann hat man schon mal die Möglichkeit aufzustehen? Keimzeitkonzerte finden gewöhnlich meist im Stehen statt.
Besonderes Lob gilt heute unseren so genannten Technikanern an Ton und Licht. Jungs, ihr habt einen riesen Job gemacht! Nein, eigentlich sollten diese Männer als Künstler mit auf der Bühne stehen und sich feiern lassen, Autogramme schreiben und den Ruhm des Abends genießen! Ohne Euch wäre das Konzert nur Musik auf ner Bühne und nicht so ein Fest für Auge und Ohr, ohne natürlich die Leistung der Band in Abrede stellen zu wollen. Das Gesamtkunstwerk war einfach perfekt.
Viele Gäste verließen den Ort schon, bevor der Letzte Ton verklungen war. In diesem Ausnahmefall haben wir beschlossen, dies nicht als Missachtung der gezeigten künstlerischen Leistung, sondern eher der Logistik geschuldet zu sehen.
Wir indes blieben noch, bis der letzte Kasten die lange Fahrt nach oben genommen hatte. Dann aber hieß es auch für uns „Schicht im Schacht“. Die Nachtschicht war gerade eingefahren und wir fuhren hinauf.
Ein langer, für Einige sehr langer Konzerttag war zu Ende. Eindrücke bleiben und die Hoffnung auf ein nächstes Mal. Tief unter der Erde mit Keimzeit und der besten Musik.
Glück auf!
Bericht: Birgit
Fotos: René